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Warum auch nicht? Wir Mädchen machen viel zusammen, shoppen und heulen und lachen – warum malen wir uns nicht zusammen an? Likörchen gefällig? Immer doch. Ich hab lange gebraucht, bis ich mich daran gewöhnen konnte, das Make-up mit diesem feuchten Schwämmchen aufzutragen. Irgendwie braucht man dabei sehr viel mehr von dem teuren Zeug, findest du nicht auch? Aber wird die Haut nicht trocken, wenn der feuchte Film verschwindet? Brauchst nicht zu grinsen, ich mach mir eben Gedanken.
Masken benutze ich nie, ich mag den Klebekram nicht so auf meinem Gesicht. Und ich gebs dir schriftlich, Süße – sobald es trocken wird und so richtig auf der Haut spannt, ruft mein Mann oder eins der Kinder und ich muss aus dem Bad spurten, wo ich die Maske gerade mit lauwarmem Wasser entfernen wollte. Du sagst, ich soll mir Zeit nehmen für mich – ja, das klingt wirklich locker, ist aber nicht so einfach, wie sich das anhört. Vielleicht kannst du besser in High Heels gehen, aber vom Feierabendstress in einer "ganz normalen Familie" hast du nicht die geringste Ahnung.
Klar kannst du nochmal einschenken. Ich mach nachher nochmal Kaffee. Was glaubst du, wie das morgens hier abgeht, Süße? Smokey Eyes malen geht da gar nicht, auch wenn es super aussieht. Jede halbe Minute wummert irgendwer an die Badezimmertür. Zeit nehmen für einen pudrigen Lidstrich kann ich mir so etwa einmal im Vierteljahr, wenn wir mal irgendwohin gehen können. Was nimmst du für die Brauen ... ahhh ich verstehe. Du sprayst Haarlack auf das Bürstchen und kämmst sie dann in Form? Genial eigentlich, ich zupfe immer, wenn ich Zeit dafür hab. Aber meist sieht das aus wie ein frisches Stoppelfeld. Meine Beine übrigens auch ... meine Güte, deine sind glatt wie Seide.
Ich glaubs einfach nicht. Und dann, ich krieg meine Fußnägel nie so akkurat lackiert wie du. Verschmiert meist, weil ich hektisch werde dabei. Sag mal, wie lange machst du das eigentlich schon? Nein, ich nehm nie Puderrouge, davor hab ich eigentlich Angst, weil man da echt genau arbeiten muss. Ist leicht zu viel drauf dann und es sieht aus wie bei einer Kasperlefigur. Ist was für Profis. Außerdem, wenn ich zu dick auftrage, krieg ich von Klaus echt was zu hören. Von wegen vollschmieren und so – er will, dass Frauen "natürlich" aussehen. Hallo? Nun krieg dich wieder ein, ich wiederhole ja nur seine Worte. Was er meint mit "natürlich"? Komm schon – das muss nicht unbedingt langweilig sein.
Äh ... diese falschen Wimpern sehen irgendwie aus wie winzige tote Tierchen, meinst du nicht? Wie geschickt du das hinkriegst ... toll. Sag mal, halten die wirklich den ganzen Tag? Und nachts? Ich würd zu Tode erschrecken, wenn ich so ein Teil morgens auf dem Kissen liegen sähe, das sag ich dir. Na ja, sie sehen klar richtig toll aus. Wie Diva. Aber solche mit Glitzer sind doch wohl nur für abends, oder ... okay, ich halt still. Pass bloß auf, ich hab empfindliche Augen. Der Kleber ist doch hoffentlich ... autsch. Das fühlt sich irgendwie schwer an. Einbildung, meinst du? Ja, ich schau doch ... oha, das ist der Wahnsinn. Huch, ich hör irgendwie im Hintergrund Marlene Dietrich rumheisern bei dem Augenaufschlag.
Du ziehst einen Lidstrich, damit der Übergang nicht so dolle auffällt? Wär ich echt nicht drauf gekommen, du. Ist überhaupt irgendwie komisch, wir beide hier vorm Spiegel und du zeigst mir solche Sachen. Eigentlich sollte ich das besser draufhaben. Aber ja, das ist Blödsinn, hast recht. Vielleicht bin ich ein wenig neidisch, kann schon sein. Wenn ich es mir überlege, dann gabs eine Zeit, in der ich nur Magenflattern hatte – wegen Jungs natürlich. Dann nur noch wegen Klaus. Ja, und dann gings los mit uns – bloß war alles viel zu schnell vorbei. Hör auf mit dem Grinsen ... DAS hatte ich nicht gemeint.
Ich erinnere mich nicht mehr so richtig an die Zeit, bevor die Kinder kamen, war irgendwie kurz. Ja, und du warst weggezogen und hast nur ab und zu mal geschrieben – ich hab oft an dich gedacht. Ob du geheiratet hast oder so was. Bis du gestern geklingelt hast – ich hab mich so gefreut. Auch wenn ich dreimal hingucken musste, um dich zu erkennen.
Och nee – falsche Nägel find ich nicht so gut. Deine sind doch echt, oder? Viel länger als meine, aber bei meinem Job ist das nicht praktisch. Feilen und farbloser Lack, mehr ist nicht, weil ich dazu nun wirklich kaum komme. Diese rechteckigen Schippen, die alle tragen, finde ich hässlich. Oval ist netter. Jawohl, wenn es auch alt-mo-disch ist. Ist dir eigentlich klar, dass wir beide fast die ganze Flasche Kirsch geschlabbert haben? Ich trink das Zeug normal nicht, ich trinke nie was. Macht nur müde – aber heute ist es anders. Macht nix, die Kinder kommen erst um fünf und Klaus eine ganze Stunde später ... und irgendwie ist es mir auch gleichgültig.
Wäsche ... ja nu, ich hab nur Baumwollsachen. Dessous? Hör auf ... Klaus würd denken, ich bin völlig durchgeknallt. Nee, hat er noch nie gesagt, dass er das gerne möchte ... so sexy Höschen und so was. Meinst du, das wär echt was? Du bringst mich zum Lachen. Meine Frisur? Der Schnitt ist halt praktisch. Muss schnell gehen, das Frisieren, weißt du. Das kann ich zur Not mit zehn Fingern schnell durchkämmen. Steht mir? Freut mich, dass dir sogar etwas an mir gefällt. Hey – war nur Spaß. So lang wie deine waren meine früher auch mal.
Ich finde dieses Kleid, das du trägst, einfach nur toll. War das teuer? Bei mir würde diese Farbe affig aussehen – bei dir sieht es einfach nur edel aus. Bleibst du jetzt hier in der Stadt? Warst du schon bei Mama? Klar geh ich mit dir. Aber heute, meine Süße, heute werde ich dich meinem Mann vorstellen. Klaus, werde ich sagen, das hier ist mein verschollener Bruder Christian.
© Textbeitrag zur Transen-Story "Wo warst du so lange, mein Schwesterchen?": Izabel Comati (Pressenet), 2012. Illustration: Thomas Alwin Müller, littleART.
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