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Offene, weite Landschaft. Wenige Bäume, keine Wälder, allenfalls sind kleine Gebüschgruppen eingestreut, dafür Wiesen mit Trichtern. Viele Trichter, teilweise gefüllt mit Regenwasser, noch ohne Frösche, vielleicht im nächsten Jahr. Sie sind noch nicht eingewandert. Andere schon. Sind täglich hier und schaffen neue Trichter. Spuren wie Feldwege durchziehen die Ebene, kreuz und quer, wie ein Spinnennetz. Die Landschaft bretteben, graubraun, nicht bunt. Ich fliege, wie ein großes Auge, über sie hinweg. Surre lautlos, schaue mal dorthin, mal dahin, schaue nach unten, bleibe stehen in der Luft, steige auf, steige ab, um mir eine Kleinigkeit unten am Boden genauer ansehen zu können.
Ich bin eine handelsübliche Drohne, unter mir hängt eine Handgranate, schaukelt durch meine Flugbewegungen mal nach rechts, mal nach links, mal nach vorne, mal nach sie wissen schon.
Ich bin schnell, rase dahin, mich steuert irgendwer, von irgendwo.
Unter mir ein Gehölzriegel. Ich sinke, schaue mir alles gut an, finde einen russischen Panzer. Steige auf, warte und beobachte. Die Luke öffnet sich, ein grünbehelmter Mensch ohne Gesicht erscheint, sucht die Ebene mit einem Fernglas ab. Verschwindet wieder in seinem Panzer, die Luke bleibt geöffnet. Er muss lüften, Männerschweiß in einer Sardinendose, einer hat gefurzt.
Ich sinke, versuche mich über die geöffnete Luke zu positionieren, meine Kamera fokussiert, richtet aus, filmt, dokumentiert, tonlos. Die Handgranate unter mir schaukelt, beruhigt sich, bleibt in Lage. Ich löse den Verschluss über meine Fernbedienung, die Granate fällt. Freier Fall, ausgerichtet über die Luke. Die Kamera filmt den Absturz der Granate. Kaum größer als eine Apfelsine. Sie wird kleiner und kleiner, verschwindet in der Luke, perfekt gezielt, explodiert.
Ich steige auf, ein kurzer Blitz, dann ein wenig Rauch, der die Luke verlässt. Ich steige weiter auf, immer noch tonlos, weiche etwas seitlich aus. Bessere Perspektive für das Gesamtbild. Aus dem Rauch wird Feuer, die Munition innerhalb des Panzers entzündet sich, aus fackelndem Feuer werden Feuerstrahlen, der Panzer explodiert. Nicht sofort, alles dauert, ist eine chemische Reaktion. Durchzünden.
Mein Einsatz: eine Steuerperson, eine Granate Wert 45 $, eine Drohne Wert 750 $.
Mein Ergebnis: ein Panzer T-14 Armata Wert 7 Mio. $ zerstört, drei Personen aus dem Spiel genommen, wie es mal Prinz Harry sagte.
Kosten-Nutzen-Analyse positiv, eigene Verluste null.
Die Kamera schwenkt zur Seite, fliegt zurück über offene Landschaften, bretteben, graubraun, wortlos, tonlos, damit ich nicht höre, wie drei Menschen erst verletzt werden, ihnen Arme und Beine abgerissen werden und dann verbrennen bei lebendigem Leib, weil sie nicht flüchten können. Ihre Schreie vor Schmerzen, bis sie sterben dürfen, wenn der Panzer endlich explodiert und sie in Stücke reißt, höre ich nicht. Sie frei sind, ihre Mütter zu Hause in sich zusammensacken, weil sie ihre Söhne verloren haben, die Frauen ihre Männer, die Kinder ihre Väter. Ein Grab wird es nicht geben, was soll auch beerdigt werden. Das, was übrigbleibt, holen sich zwei Elstern, ein Fuchs und vier Mäuse. Der Rest für die Regenwürmer. Ein Brief wird kommen, vielleicht. Wir danken für ihren Einsatz. Dürre Worte, maschinell erstellt, als letzte Verbindung, Serienbrief.
Wir sind Zuschauer, immer wieder, kostenlos, täglich, trinken dabei Kaffee, beißen in unser Schokocroissant. Warten darauf, ob doch noch einer aus dem brennenden Panzer springen kann und vor unseren Augen verbrennt. Ja, wieder drei Russen weniger, während zur gleichen Zeit drei Ukrainer auf eine Landmine fahren, irgendwo, ohne Drohnenaufnahme. Sie werden ein paar Tage später gefunden, weil die Krähen eine kostenlose Futterstelle gefunden haben.
Sinnlosigkeiten ohne Ende. Zum Glück tonlos, sonst wäre es vielleicht doch nicht auszuhalten und mir würde der Kaffee nicht schmecken. Es wäre auch zu schade um das Schokocroissant, das schmeckt am besten frisch.
Bitte beachten Sie auch die Bücher von Dr. Martin Kreuels, die er auf seiner Webseite vorstellt, sowie seine Videos auf Youtube, seinem vertonten Buchstabenparkplatz.
© "Drohnenperspektive": Ein Essay von Dr. Martin Kreuels, 11/2023. Bildnachweis: Die Abbildungen zeigen eine Militär-Drohne beim Abschuss einer Rakete (oben) und einen zerstörten Panzer (unten); beide CC0 (Public Domain Lizenz).
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