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Da haben sie wieder gelacht über den Berblinger – ich hab es gespürt, als ich vom Rathaus gekommen bin. Was sie schon wissen, diese Narren. Mein Lebtag hab ich es gespürt, dass es mehr geben muss als das, was uns gegeben sein soll. Ist der Mensch denn nichts weiter wert als das, was er zu sein scheint, mit allen Gebresten und Widerwärtigkeiten, die er trägt?
Da ich nun einmal als Schneider meine Taler verdien, weiß ich, dass kein Stoff, nicht Linnen und nicht feines Tuch, den Menschen zu einem andren macht, als er ist. Wenn ich die Nadel führ und Naht auf Naht bind, dann ist etwas vollbracht, das leugne ich nicht. Aber was wird es größer machen, für den er den Rock nun tragen wird? Er bleibt derselbe, der er ist.
"Der Schneider Berblinger sollt bei seinen Tuchen bleiben", so sagen sie. "Seine verrückten Ideen werden sein Ruin sein", das sagen sie wohl auch. Und sie haben nicht unrecht damit, aber wo soll ich hin mit den Gedanken, die mir geflogen kommen, wenn ich etwas seh, wo eins ins andre greift. "Der närrische Schneider möcht wohl ein Mechanikus sein", so spotten die Bürger der Stadt. Aber es ist anders als sie denken, denn der Mechanikus musst zum Schneider werden, gegen seinen Drang. Wenn ich des Nachts nicht schlafen kann, dann geh ich hinaus ins Mondlicht, um dem niedrigen Dach entfliehen zu können, aber freilich wär mir kein Dach hoch genug, nicht einmal das des Doms.
Ich weiß, dass niemand an die Erde gebunden sein muss und dass es möglich ist, es den Vögeln gleich zu tun. Deren Schwingen nutzen die Winde, diese Unberechenbaren, und fahren auf ihnen umher, wohin sie wollen. Hat denn keiner jemals am Tag hinaufgeblickt, vorbei an den Fassaden, die diese engen Gassen säumen? Sehen sie es denn nicht? Was ich in meiner Werkstatt hab, hat noch niemand gesehen außer mir – sie möchten sich wohl ausschütten vor Lachen, wenn ich sie zeigte ... meine Schwingen. Sie sind fast fertig, das sind sie schon lange Zeit. Hier und da leg ich sie an, aber sie sind zu empfindlich.
Oftmals hab ich die Streben ersetzen müssen, weil ich das Gleichgewicht verlor, sie sind noch immer nicht leicht genug. Es ist die Fläche, die den Wind nutzen kann, die Fläche und die Leichtigkeit des Stoffes. Wie viele Stunden hab ich die Vögel beobachtet, die diese Winde nutzen wie unsichtbare Pfade. Sie bewegen sich so sicher in der Luft wie unsereiner auf der Erde. Aber sie sind nicht so schwer wie ein Mensch, ihre Körper hindern sie nicht. Um das Gewicht auszugleichen, muss der Apparat groß sein. Ich hab Berechnungen angestellt und glaub, dass ich das Verhältnis entschlüsselt hab. Aber sie würden alle sagen, dass es Narrenwerk ist, und "närrisch" sag ich auch ...
* * * Ende der Leseprobe von "Der Schneider von Ulm und sein Absturz" * * *
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© Textbeitrag "Der Berblinger": Winfried Brumma (Pressenet), 2009. Bildnachweis: Illustration Raubvögel, CC0 (Public Domain Lizenz).
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