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Die Karte mit der Nummer XVI des Rider-Waite-Tarot zeigt ein Bild der Zerstörung. Die wie eine Krone geformte Spitze eines hohen Turmes wird von einem gewaltigen Blitz getroffen, der den schwarzen Nachthimmel teilt. Flammen lodern auf und Menschen stürzen kopfüber in die Tiefe, einer davon trägt eine Krone.
Eine Katastrophe hat stattgefunden, alles wird zerstört, worauf gebaut wurde ... worauf Menschen gebaut haben. Der Turm kündet eine gewaltsame Veränderung an. Anders als die XIII, der Tod, der ein natürliches Ende anzeigt, ist der Turm der Bote eines "gewaltsamen" Eingriffes.
Wie der Turm zu Babel aus der biblischen Geschichte wurde ein zu hohes Gebäude errichtet, war man zu sorglos und vergaß auf das Gleichgewicht zwischen Himmel und Erde zu achten. Dieses Bild ist auf manches anwendbar. Der Turm weist auf eine Zerstörung, ein Ende oder eine Niederlage hin, die durch äußere Umstände erfolgen und nicht unbedingt erwartet werden, obwohl nahende Umstürze auch ihre Zeichen voraussenden.
Aber das Wesen des hohen Turmes ist eben das, solches nicht sehen zu können oder zu wollen. Das alte Wort "Hoffart" bezeichnet solch einen Gemütszustand recht gut. Man will eben nicht wahrhaben, dass Sturm aufkommt und nichts mehr sein wird, wie es vorher gewesen ist. Das Schicksal kennt kein Ansehen der Person, es trifft Könige wie Bettler. Die Lebensumstände werden eine drastische Veränderung erfahren, eingefahrene Wege werden ungangbar werden.
Bevor man nun davon ausgeht, dass der Turm die negativste Karte des gesamten Tarot ist, betrachtet man aber diese Aussage genauer: Alte Wege enden. Mit den Mauern des Bauwerks brechen vielleicht auch Verkrustungen auf oder Panzer, Verschüttetes wird wieder frei, und wo eine allzu festgefügte Mauer war, ist nun ein neuer Anfang möglich. Beispiele gibt es genug – ein unbefriedigender Beruf oder eine zerstörerisch gewordene Beziehung, ein starres Denkschema ... das alles sind Dinge, die uns an der freien Entfaltung unseres Ichs hindern.
Wer nie den Elan zum Wechsel aufgebracht hätte, wird vielleicht durch eine Entlassung gezwungen. Das wird erst einmal als katastrophal erlebt, bis sich dann Neues und Besseres ergibt. Genauso ist es mit Beziehungen oder Freundschaften, die mehr Gewohnheit oder Angst vor dem Alleinsein sind, als echte Neigung, und die über Jahre ertragen werden. Wenn das durch einen Riesenkrach zerbricht, geht meist auch eine Fessel entzwei, die an der Entwicklung der Seele hindert.
Ein Mensch, der selbstzufrieden und in dem sicheren Gefühl der Überlegenheit vor sich hindämmert, der all sein Tun nicht mehr hinterfragt und sich in schädliche Verhaltensweisen geradezu verstrickt hat, wird durch einen zwar sehr schmerzhaften, aber auch heilsamen Sturz vom hohen Ross profitieren, wenn er in der Lage ist, die gebotene Chance zu erkennen. Einfach gesagt: wenn etwas Neues aufgebaut werden soll, muss das Alte weichen – auch wenn es schmerzlich erscheint.
Der Spruch "Lieber ein schmerzhaftes Ende als Schmerzen ohne Ende" kommt der Bedeutung der Karte ziemlich nahe. Der Umsturz ist unausweichlich, das Schicksal schlägt zu und niemand kann es aufhalten – wie ein Eingreifen höherer Mächte.
Je nach dem Anliegen des Fragenden kann aber auch darauf hingewiesen werden, dass es an der Zeit für ein reinigendes Gewitter ist. Überaus duldsame Menschen machen leider oft die Erfahrung, dass man ihre Gutmütigkeit nicht nur als selbstverständlich annimmt, sondern sogar als zustehendes Recht. Je länger man in dieser Rolle verharrt, desto schwieriger wird es, etwas daran zu ändern. Jeder kleinste Versuch in dieser Richtung wird von den bisherigen Nutznießern als persönliche Beleidigung aufgefasst und in Egoismus umgedeutet.
Daran sind schon viele Menschen gescheitert, die eigentlich nichts weiter wollten, als selber über ihre Zeit und ihre Mittel zu verfügen, wie sie es für richtig halten. Wer sich hier freimachen will, kommt um eine gewaltige Konfrontation nicht herum. Das wird zwar unangenehm sein, aber die Erleichterung danach ist das allemal wert. Und es bedeutet vor allem, dass das Hilfepotenzial nun denen zukommen kann, denen es wirklich nützt – es geht nicht um Verweigerung von Menschlichkeit oder Hilfe.
In so einem Fall zeigt der Turm einfach auf, dass es hoch an der Zeit ist, die Fesseln zu sprengen. Wie auch immer, auf Sturm und Hagel wird Sonne folgen, wenn wir nur den Blick heben, um sie zu erkennen. Die alte Weisheit "Nichts geschieht ohne Grund" ist mehr als eine Binsenwahrheit. Aus einer Festung kann ein Schloss werden, wenn die Mauern gebrochen sind.
* * * Tarotkarte XVI: Ende der Leseprobe aus "Tarot – Die Karte Sechzehn: Der Turm" (Tarot-Serie zu unserem Buch) * * *
Der Turm – Lesen Sie mehr zum Thema Rider-Waite-Tarot:
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© "Tarot – Die Karte Sechzehn: Der Turm": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), Eleonore Radtberger, 2010. Bildnachweis: Kartenspiel Symbole, CC0 (Public Domain Lizenz).
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