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Wenn man das Wort "ausrasten" in den Suchmaschinen eingibt, finden sich erstaunlich viele Nachrichten ... oder sollte man sagen: Geschichten? Da ist zum Beispiel die Meldung über den Ausraster eines Tierarztes, der in völliger Umkehrung seiner Aufgabe einen vierbeinigen Patienten übel verprügelt haben soll. Der Hund hatte nach ihm geschnappt – und das reichte dem Veterinär, um "völlig auszurasten". Der gestresste Mediziner steigerte sich nach den Angaben der Hundehalterin in eine rasende Wut hinein und machte eine Behandlung des Tieres in einer Tierklinik nötig.
Weiterhin kann man über einen Mann in den besten Jahren nachlesen, der sein Auto während eines Streites als Waffe benutzte und in völliger Absicht die Tochter seiner Freundin angefahren und erheblich verletzt hat. Und eine junge Frau demolierte mit einer Eisenstange das Auto eines Mannes, offenbar ein Ausraster aus Leidenschaft. Beängstigend die vielen Berichte über misshandelte Kleinkinder, deren Aufsichtspersonen die Kontrolle über sich verloren und in ihrer Rage die Kleinen schwer verletzt oder sogar getötet haben.
Hinter all diesen Fällen verbergen sich Geschichten, die den langen Weg zu einem ultimativen Emotions-Gau beschreiben. Bei manchen war viel Zeit nötig, viele Frustrationen oder Schmerzen, bis es dazu kam, dass sich der Betreffende in ein Wutbündel verwandelte, das den rationalen Verstand völlig ausschaltete. Die allermeisten Personen, die so zu einem Täter wurden, beschreiben das, was sie in der betreffenden Situation taten, als "ausrasten". Das Wort bezeichnet recht genau, was passiert ... das Getriebe läuft nicht mehr rund und ein Teilchen greift nicht mehr in das andere. Der normale Ablauf ist gestört und die verschiedenen Teile der Maschinerie arbeiten nicht mehr miteinander – sondern chaotisch durcheinander.
Fast jeder kennt diesen Ausnahmezustand und fürchtet ihn. Die einen versuchen erst gar nicht, es so weit kommen zu lassen und haben meistens Erfolg damit. Andere Zeitgenossen sehen entweder die Zeichen nicht, die darauf hindeuten, dass es bald soweit kommen wird, oder sie sehen darüber hinweg – dann passiert es eben. Schließlich konnte man ja nichts dafür, man hatte das Ganze nicht mehr unter Kontrolle, man wollte das ja nicht wirklich. Und genau da kommen leise Zweifel auf – denn ein wirklicher Verstandesaussetzer, der einen Menschen in eine Art rein emotional agierendes Urviech verwandelt, ist einigermaßen selten. So leicht lässt sich der Verstand also nicht ausschalten – was jeder weiß, der einmal wirklich wütend war.
Zwar kann kaum nachvollzogen werden, wieso ein Arzt seinen Ruf und somit seine Existenz aufs Spiel setzt, nur um einen Hund abzustrafen, der in verständlicher Angst nach ihm geschnappt hat – denn bei einer tierärztlichen Behandlung ist grundsätzlich mit so etwas zu rechnen und es gibt mehrere Möglichkeiten, dies zu verhindern. Der Verdacht liegt nahe, dass es nicht der erste Ausfall dieser Art war. Was der Veterinär nicht mehr unterdrücken konnte, war nicht die Wut – er war nicht mehr fähig, sich das von ihm so erlebte frustrationsneutralisierende Verhalten zu versagen, obwohl es mehrere Zeugen gab und es mit Sicherheit ernste Folgen geben würde.
Es gibt immer andere Möglichkeiten, als auf ein Kind einzuprügeln – man kann sich bei Überforderung an Institutionen wenden, oder man kann jemanden um Hilfe bitten. Tatsächlich könnte man sich in ein anderes Zimmer begeben und bis 100 zählen, wenn man glaubt, bis zur Weißglut gereizt zu sein. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass das Gehirn nicht mit der "roten Kelle" winkt, wenn man über einem absolut hilflosen Körper steht und dabei ist, mit den Fäusten auf ihn einzudreschen. Das hat mit Ausrasten überhaupt nichts zu tun – das hat mit Macht zu tun. So wie der Autofahrer, der die beste Waffe, die ein Zivilist haben kann – sein Auto – sozusagen auf einen Menschen richtete. Wer einen anderen Menschen mit dieser Waffe verletzt, ist unangreifbar in seinem Blechgehäuse, er kann töten und verletzen, während ihm selber absolut nichts geschehen kann, wenn er im Wagen sitzt und sein Opfer auf der Straße steht.
Mit "völligem Ausrasten" wird die Tat eines Mannes beschrieben, der seine Frau – die mit ihm ein Gespräch über eine mögliche Trennung führen wollte – bis zur Bewusstlosigkeit würgte und dann einen Notarzt rief. Er selbst verließ die Wohnung vorher. Wahrscheinlich wusste dieser Mann genau, was er tat – wäre das nicht der Fall gewesen, hätte die Frau das nicht überlebt. Es sieht wie ein wohldosierter "Ausraster" aus – gerade soweit, um die Frau an den Rand des Todes zu bringen, sie zu bestrafen. Mit Sicherheit sind in dieser Beziehung die Streitigkeiten öfter eskaliert.
Die Geschichten solcher und ähnlicher Vorfälle sind Suchtgeschichten. Das einfache Ventil – der momentane Kick – wird unverzichtbar, ob es nun das gewohnheitsmäßige Quälen von Schwächeren ist oder immer wieder angezettelte Prügeleien ... es ist ein teuflischer Kreislauf. Viele Menschen, die ein Kind, ein Tier oder sonst jemanden, der wehrlos ist, schikanieren oder verletzen, sind im gleichen Moment tieftraurig und wissen genau, was sie tun – sie tun es aber trotzdem, genau wie ein Süchtiger, der die Spritze setzt und gleichzeitig weiß, dass er sich das Schlimmste antut. Er weiß es, aber er kann nicht anders.
Nun kann eine solche Abhängigkeit versteckt werden ... lange Zeit vielleicht sogar – aber dann, wie möglicherweise im Falle des Veterinärs, plötzlich sichtbar werden. In den Erklärungsversuchen der betreffenden Menschen klingt es oft so, als sei das hin und wieder vorkommende "Ausrasten" so etwas wie ein Grundrecht – oder etwas, das wie Rülpsen oder Ähnliches einfach vorkommt und nicht unterdrückt werden kann. Nichts davon trifft zu.
Niemand hat das Recht, andere zu beeinträchtigen, um seine Süchte zu befriedigen, sondern vor allem die Pflicht, sich damit auseinanderzusetzen und alles zu tun, um sich davon zu befreien.
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© "Und da bin ich eben ausgerastet": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), 2011.
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