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Die Kunstgaleristin Anke Neuhaus soll in der Provinz ein Museum für moderne Kunst zum Erfolg führen. Sie beschließt eine Zusammenarbeit mit dem exzentrischen Maler Niels Sörensen. Dass der Zyklus von Kinderporträts, den er ihr anbietet, ein blutiges Geheimnis in sich trägt, ahnt die Galeristin allerdings nicht. Erst als sie die Gemälde ausstellt, beginnt Ankes schlimmster Albtraum.
Der Debütroman von Arne M. Boehler verbindet in außergewöhnlicher Weise Elemente des klassischen Ermittlerkrimis mit denen des Psychothrillers.
Das Taschenbuch umfasst 352 Seiten und wurde im Juni 2019 via epubli veröffentlicht (ISBN 978-3748555292). Als E-Book ist der Thriller "Das Weinen der Kinder" ebenfalls erhältlich.
Niels zog seine angestaubte Bewerbungsmappe aus einem Regal – sie war unerwartet schwer – und nahm sie mit ins Atelier. Dort hievte er sie auf einen großen Tapeziertisch und betrachtete sie. Ein flacher Fremdkörper aus einer anderen Galaxie, der das Licht des Raumes auf seltsame Weise aufzusaugen schien, gleichzeitig aber eine kalte, bösartige Energie an seine Umgebung abstrahlte.
Wollte er wirklich mit seinem Alter Ego konfrontiert werden? Mit seinem zwanzigjährigen, kokainverseuchten Ich und dessen unreifem Gekrakel, das vielleicht noch schlimmer war als die Lappen, die hoffnungsfrohe Bewunderer und Hobbymaler ihm manchmal zur Begutachtung vorlegten?
Niels waren ja heute bereits die Bilder peinlich, die er vor fünf oder zehn Jahren geschaffen und damals noch zu Spottpreisen verhökert hatte. Er grinste. Auch diese Zeiten waren vorbei, zum Glück. Sein letztes Gemälde hatte für vierhunderttausend den Besitzer gewechselt.
Vier. Hundert. Tausend. Für ein Bild! Der Preis war ihm äußerst schmeichelhaft vorgekommen. Wie konnte ein Stück von ihm beschmierte Leinwand so wertvoll sein?
Egal.
Die Mappe lag immer noch unberührt vor ihm. Er wandte sich von ihr ab, ging zum Schnapsregal, griff nach der Flasche mit dem Talisker und entkorkte sie. Der Whisky roch nach Torf und Rauch.
Zurück am Tapeziertisch öffnete Niels die Mappe. Warum fühlte sich das blassblaue Band, mit dem die beiden Deckel zusammengehalten waren, so heiß in seinen Fingern an? Warnte ihn etwa sein Instinkt, sich den alten Bildern zu nähern? Er zögerte und ließ das Band fahren, war versucht, die Schleife wieder zuzubinden und den Ordner schnellstmöglich dorthin zurück zu bringen, wo er ihn hergeholt hatte.
Er nahm einen großen Schluck aus der Flasche und ließ den Whisky seine Kehle hinunterrinnen. Das rohe Feuer beseitigte seine Zweifel und mit einem Schwung öffnete er den Pappdeckel. Kein Knall ertönte. Und es entfleuchte auch kein Schwefeldampf. Nur ein leicht muffiger Geruch stieg auf.
Zuoberst lag ein Aquarell. Es zeigte ein Stillleben mit Blumen – er konnte sich nicht erinnern, es jemals gemalt zu haben. Darunter kamen noch einige ähnliche Versuche zum Vorschein, und halbwegs ungelenke Aktstudien. Hatte er in seiner Jugend tatsächlich solchen Unsinn produziert? Es musste wohl so sein.
Er blätterte weiter, bis ein Ölbild erschien, ein Porträt, das er herausnahm, um es im Licht genauer zu betrachten. Es war, wie alle anderen Bilder in der Mappe, auf billiges Leinwandimitat gemalt worden und passte zu seiner Vermutung über die Entstehungszeit der Bilder. Als er im Teenageralter angefangen hatte, seine ersten Studien zu malen, hatte er sich in einem Schreibwarenladen in Aalborg solche Blöcke besorgt. Sie waren billig, aber für Anfänger halbwegs brauchbar.
Das Ölgemälde war eine Zumutung. Nicht weil es schlecht war, im Gegenteil. Es zeigte ein Kindergesicht. Einen kleinen Menschen in tiefstem Leid, so plastisch, dass Niels ein kalter Schauer den Rücken hinunterlief.
Er hatte sich in den letzten Wochen oft gefragt, warum er als Jungspund in die Kunstakademie aufgenommen worden war, bei seinem beschränkten Talent. Aber wenn er in seiner Jugend zu dieser Leistung fähig gewesen war, dann erübrigte sich die Frage.
Die folgenden Porträts in der Mappe übertrafen das erste noch. Alle stellten Traurigkeit und Kummer dar, aber doch so unterschiedlich und faszinierend, gleichzeitig jedoch auch dermaßen abstoßend in ihrer virtuosen Darstellung des Elends, dass Niels nach kurzer Zeit überwältigt war. Er legte die Blätter zurück in die Mappe und klappte den Deckel zu. Legte mit Nachdruck die linke Hand darauf, wie um zu verhindern, dass sich der Karton noch einmal von selbst öffnete.
Mit der anderen Hand griff er zur Schnapsflasche und trank gierig. Was hatte ihn veranlasst, diese Bilder zu malen? Porträts noch dazu, eigentlich gar nicht sein Sujet? Und wieso hatte er sie in der Mappe vergessen und niemals wieder hervorgeholt? Kokain hin oder her, aber so benebelt konnte er doch nicht gewesen sein, oder?
Der Whisky begann schnell zu wirken und der letzte Rest seines Erinnerungsvermögens ließ ihn im Stich. Er schüttelte den Kopf. Nahm einen weiteren Schluck.
Aus dem aufsteigenden Alkoholnebel waberte eine andere Frage in seinen Sinn: Welchen Weg musste er gehen, um die Quelle dieser Fähigkeiten erneut anzuzapfen?
Anke.
Unsinn!
Doch: Anke.
Warum eigentlich nicht?
Weil sie dir den Schuh in den Arsch treten wird, dass er drin stecken bleibt. Deshalb! ...
Du willst mehr lesen? Das Taschenbuch oder das E-Book warten auf dich! Mehr zum Buch, zum Autor und seinen Projekten findest du auf der Webseite von Arne M. Boehler, bei dem wir uns sehr herzlich für die Leseprobe und die Abbildung des Buchcovers bedanken: © 06/2019.
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