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Der Name lässt zunächst nichts Gutes vermuten – wer den Tarot nicht kennt, erschrickt vielleicht erst einmal. Aber die Karte mit der Nummer XII hat durchaus nichts Schreckliches. Der Mann auf dem Bild ist sehr lebendig und durchaus nicht tot. Er hängt zwar kopfüber von einem Baum oder, wie beim Rider-Waite-Tarot, von einem Ast, der üppig begrünt ist – doch in sehr entspannter Pose.
Der Gehängte akzeptiert seine Lage völlig, hat er sich doch auch selber in diese Stellung gebracht. Was wir sehen, ist auch ein Bild des Gottes Odin, der sich an die Weltesche Yggdrasil hängte und sich somit selber zum Opfer brachte. Der Sage nach hing er so in aller Einsamkeit neun Tage und Nächte, und als Lohn erhielt er von den Alten das Wissen um die Runen und ihre Kräfte.
Also Opfer oder Einweihung bedeutet in dieser Hinsicht das Bild – erst wenn das getan ist, eröffnet sich das Wissen. Bei anderen Decks wird die Karte auch "Der Einsame" oder "Das Opfer" genannt, was durchaus zutrifft. Also ist eine der Botschaften dieses Arkanums: "Da musst du durch", oder auch: "Akzeptiere jetzt, was du nicht ändern kannst – die Dinge werden sich bald ändern." Und dahin führt letztendlich die Botschaft der Karte: Zu einer großen Veränderung. Nicht selten bedeutet sie nämlich, dass das bisherige Leben völlig auf den Kopf gestellt wird und man vieles – oder gar eine besondere Sache – anders wahrnimmt.
So manches gewinnt eine völlig andere Bedeutung, wenn man sich die Mühe macht und den Blickwinkel verändert. Sei es, dass man versucht, es mit den Augen einer anderen Person zu sehen, oder dass man sich für neue Aspekte einer Angelegenheit öffnet. Wer mitten im Geschehen ist, sieht die Realität anders als jemand, der von außen hineinsieht. Es gibt wohl kaum etwas im Leben, das nicht durch verschiedene Betrachtungsweisen klarer werden würde.
Eine der Bedeutungen ist auch der Rückzug im Sinne von Odin, ausklinken aus dem Leben. Anders aber als der Eremit, der in sich hineinleuchtete auf der Suche nach sich selber, ist der Gehängte vom Licht erfüllt – er akzeptiert die Dinge, wie sie im Augenblick sind und ist sich seiner sehr bewusst. Er sucht nicht sich selber, er sucht Wissen, Veränderung, Kraft, Weisheit ... aber er weiß, dass er Geduld haben muss. Die Ruhe vor großen Umwälzungen ist ein weiterer Hinweis der XII, sie zeigt das Kommen großer Dinge an. Vor allem aber mahnt sie, den Eigennutz abzulegen und seinen Geist von den materiellen Dingen vorerst einmal zu befreien.
Es gibt eine Karte, die zeigt, wie dem Gehängten die Münzen aus der Tasche fallen – eine logische Folge seiner Position. Es bedeutet, dass er in dieser Phase der Hingabe so etwas wie Geld oder Reichtümer der Welt nicht braucht. Es ist auch ein Symbol dafür, die Ängste, die im Materiellen gründen, abzulegen. Durch Verzicht wird gewonnen. Odin begab sich in die Position und war geduldig, er strebte und kämpfte während dieser Zeit nicht, aber er empfing doch.
Je nach Fragestellung kann es auch bedeuten, dass ein gewisses "Opfer" gebracht werden muss, damit der Weg klarer wird. Wer nicht in aller Unschuld geben kann, kann auch nicht wirklich empfangen – er wird ein Geschenk nicht als herzliche Gabe sehen, sondern den Rechner im Kopf anwerfen. Wer sein Leben aber darauf aufbaut, wird unter dem Strich nichts übrig haben, das ihm wirklich etwas nützt am Ende.
Ein anderer möglicher Ratschlag an den Fragenden könnte sein, sich nicht an dunkle Gedanken und Ängste zu klammern, sondern den Geist frei schweifen zu lassen. Viele Menschen heben kaum den Kopf, weder beim Gehen noch beim Sprechen und zeigen so, dass ihr Geist nicht in der Lage ist, frei zu schweifen. Irgendwann haben sie diese Fähigkeit verloren, durch die Sorgen und Belastungen des Alltags – oder durch lange Trauer und Hoffnungslosigkeit.
Das ist eine gefährliche Entwicklung, die unbedingt unterbrochen werden muss, denn das Leben ist etwas, das nicht stagniert, sondern weitergeht. Die alte Binsenweisheit "Das Leben muss weitergehen" beinhaltet sehr viel Wahres. Was immer auch geschehen ist, nach angemessener Zeit muss der Kopf wieder erhoben und der Geist auf das Leben ringsumher gerichtet werden.
Geduld ist angeraten – die Geduld, die ein guter Gärtner aufbringt, wenn er auf die Ernte wartet. Währenddem er nichts weiter tun kann als warten, regt sich für ihn nicht wahrnehmbar Leben unter der Erde und in den Samen – ohne sein direktes Zutun.
Also, die Dinge ändern sich für den, der Geduld aufbringt und die Fähigkeit, sie aus einem anderen Blickwinkel zu sehen.
* * * Tarot-Karte XII: Ende der Leseprobe aus "Tarot – Die Karte Zwölf: Der Gehängte" (Tarot-Serie zu unserem Buch) * * *
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© "Tarot – Die Karte Zwölf: Der Gehängte": Textbeitrag von Winfried Brumma (Pressenet), Eleonore Radtberger, 2010. Bildnachweis: Spielkarte Knappe, CC0 (Public Domain Lizenz).
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