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Vorwort: In dieser mehrteiligen Reihe setzen wir uns mit den Themen Faschismus und Holocaust auseinander und warnen unmissverständlich vor Hass und Vorurteilen. Wir betonen, dass die Wurzeln des Faschismus bis heute fortbestehen und weisen nachdrücklich auf die Gefahren hin, die aus Angst, Unsicherheit und Hass entstehen. Zudem kritisieren wir die Weitergabe extremistischer Ideologien an die nächste Generation. Insgesamt setzen wir uns entschieden gegen Faschismus und Menschenverachtung ein. – Weitere Informationen finden Sie unten auf dieser Seite.
Die Großeltern hatten den Krieg noch erlebt. Also beide Weltkriege. Den ersten seiner Art noch als Teenager, den Zweiten Weltkrieg allerdings als Erwachsene. Was das bedeutet, ist klar: Opa kam an die Front und Oma musste zusehen, wie sie zurechtkam, was nicht gerade einfach war.
Traumatisiert wie sie waren, sprachen sie oft vom "Kriesch", wie das im heimischen Idiom korrekt heißt. Das waren üble Geschichten, aber die Erzählungen wurden meinem jeweiligen Alter in etwa angepasst, wie ich denke.
Was ich von dem allem verstand, war die verstörende Tatsache, dass in einem "Kriesch" Leute andere Leute totschossen. So wie in den Wildwestfilmen, die Opa so mochte. Allerdings war das ja nicht echt. Das war mir schon klar. Im Krieg allerdings meinten die das ernst. Und das fand ich wirklich schlimm. So etwas tat man nicht.
Bei all diesen Informationen, seien es nun lustige Anekdoten – die gab es wirklich – oder Erzählungen vom Hunger und der Angst, der Evakuierung und all diesen Dingen – vom Holocaust erzählten sie mir nichts. Was ich einmal aufschnappte war der Spruch von Oma: "Der war das ja nicht. Das waren die kleinen Hitlerchen." Das konnte ich vorerst nicht einordnen. Schließlich war ich da nicht älter als neun Jahre.
In der Schule glänzte das Dritte Reich ebenfalls durch Abwesenheit. Allerdings gab es da einige Lehrer, die sonderbare Äußerungen machten, die wir Schüler nicht verstanden. Da machte sich ein Lehrer lustig über Nachnamen, die nicht typisch deutsch waren. In besonders schlimmer Erinnerung ist mir eine Lehrerin geblieben, die in unserer Klasse ein- oder zweimal die Vertretung machte. Bekannt war sie uns trotzdem, weil jeder sie zumindest vom Aussehen her kannte. Sie trug nämlich immer einen weißen Kittel. Das fanden wir ungewöhnlich. Heute würde man das wohl "schräg" nennen. Und genau das war es auch. Die Frau war auf jeden Fall sehr brutal. Ich sah, wie sie einen Jungen in meiner Klasse wegen irgendeiner Nichtigkeit fast das Ohr abriss. Das verstörte Kind, das sich die sehr stark blutende Kopfseite hielt – das steht mir heute noch klar vor Augen. Nur, dass ich heute weiß, dass die Lehrerin es sehr mit der schwarzen Pädagogik hielt.
Heute wäre das undenkbar, aber in den 60er-Jahren hatten die Lehrer immer recht, die Eltern hielten meist still. Die schwarze Pädagogik war noch nicht überwunden. Und die körperliche Züchtigung war noch einige Zeit nach meiner Einschulung erlaubt. Ob es für diese Lehrkraft Konsequenzen gab, weiß ich nicht. Irgendwann sah man sie nicht mehr. Aber wahrscheinlich war sie einfach im Ruhestand.
Gewisse Anspielungen der Lehrkräfte kann ich heute sehr gut einordnen, im Gegensatz zu damals. Und ich habe ein leichtes Übelkeitsgefühl.
Bücher und Fernsehen waren eine gute Sache, und irgendwann erfuhr ich vom Holocaust. Erst einmal oberflächlich. Aber dass im Krieg Menschen umgebracht wurden, weil sie Juden waren, das entsetzte mich. Ich hatte keine Ahnung vom Judentum, übersetzte mir das aber irgendwie mit Volkszugehörigkeit. Man richtete also Leute hin, weil sie von anderswo herkamen. Das schien mir entsetzlich, denn meine Freundinnen, die im gleichen Haus wohnten, hatten griechische und italienische Eltern. Sowas sollte ein Grund sein?
Für mich war also Hitler ein Monster. Denn wer das war, hatte ich auch mitbekommen. Und so kamen immer neue Erkenntnisse über das sogenannte Dritte Reich zusammen. Ich erfuhr, dass das Judentum eine Religion war. Dass viele Menschen umkamen, weil sie dem System nicht passten und dass viele Soldaten wissentlich in den Tod geschickt wurden, obwohl schon alles verloren war.
Und die Menge an Informationen führten dazu, dass ich alles, was mit Hitler, dem Holocaust und dem Krieg zu tun hatte, aus tiefster Seele verachtete.
Der letzte Stein in meiner eigenen Mauer gegen Rechts wurde in meinen zwanziger Jahren eingepasst. Ich hatte mir einen Bildband bei einem alternativen Verlag bestellt. Bilder und Erlebnisberichte aus den KZs. Und eines davon hat mich in schlimmster Weise getroffen. Nicht, dass nicht alle Fotos und Berichte schlimm gewesen wären – aber dieses eine Bild war es, das mich neben der Angst vor dem Faschismus auch den Hass darauf gelehrt hat. Denn Hass entsteht immer aus Angst.
Auf diesem Bild waren große Kisten zu sehen, wahrscheinlich aus Holz. In einer davon lagen Kleidungsstücke wie Mäntel und dergleichen. Eine dieser Kisten war mit Schuhen gefüllt. Eine weitere mit Sachen wie Schmuckstücke oder Uhren. Und in der letzten lagen dann die Kindersachen, Strampler und Jäckchen. Es gab auch Rasseln und andere kleine Spielsachen.
Mit den Jahren kamen immer neue Informationen hinzu, und selbst heute lese und sehe oder höre ich noch Dinge, die mir unbekannt waren über diese Zeit der Menschenverachtung und der Dummheit, des Machtrausches und der Grausamkeit.
Das ist es, was mich zum Antifaschisten gemacht hat und immer wieder macht, mit jedem Tag. Denn meine Naivität in Bezug auf "vorbei" ist fürchterlich bestraft worden.
Dieses Böse, dieses absolut unmenschliche Böse erhebt sich gerade aus der Jauchegrube der Geschichte. Dieses Monster ist nie tot gewesen, es lag zum Teil betäubt in seinem Versteck und lauerte. Lauerte auf solche, die empfänglich sind für diesen Todesgeruch, dieses Kloakenaroma. Und wenn es sich vollends erhebt und seine Höhle mit den Knochenbergen verlässt – dann werden ihm viele nachlaufen. Und dieses Mal nicht in Unkenntnis, was tatsächlich vor sich geht – das war im Dritten Reich auch nur am Anfang so, wenn überhaupt – sondern aus Lust und Freude an Gewalt und Hass.
Weiterführende Informationen
Trilogie: "Geschichten über Menschen"
– Über Leute, die sich braun verfärbt haben: Ich weiß, wer du bist
– Du bist niemand, aber trotzdem kenne ich dich
– Ich dachte, ich wüsste wer du bistWeitere Beiträge von uns
– Flüchtlinge unterwegs nach Europa. Ein Buch von Philipp Baar
– Sie kommen um zu bleiben. Foto-Essay zur Flüchtlingskrise von Christian SünderwaldFakten über Fakes und mehr Informationen
– Initiativen gegen Rechtsextremismus in Deutschland
– Verschwörungsmythen: Eine Droge aus Kinderblut? (Citizen Facts, ARTE)
Karte der Konzentrationslager im Herrschaftsbereich des Deutschen Reiches
© "Wie wird man zum Antifaschisten? Teil 1: Weltkriege und das Monster, das nie tot gewesen ist": Ein Textbeitrag von Loxixedo, 10/2024. Bildnachweis: oben Stacheldraht, mitte Konzentrationslager, unten Karte der Konzentrationslager im Herrschaftsbereich des Deutschen Reiches, alle drei Abbildungen CC0 (Public Domain Lizenz).
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