Ein altmodisches Vergnügen

S. K. Tremayne ist das Pseudonym des in London lebenden Autors Sean Thomas. Mit "The Ice Twins" legt er einen Roman vor, der allmählich bekannte Elemente diverser Genres dramatisch auflädt. Wie smart er das anstellt, zeigt der Übersetzer und Lektor Bernd Wicik in dieser Besprechung auf.

Ein Teaser für einen Teaser

Der UK-Schriftsteller macht sich in "The Ice Twins" einen Schauerspaß daraus, einen Haufen bekannter Grusel- und Psychothrillermotive (Spukhaus und einsame schottische Insel mit Leuchtturm hier, Identitätsverwirrung dort) in einem Roman aufzufahren, der lange nicht verrät, welchem Genre er letztendlich den Vorzug geben will. Gothic Novel, Mystery, Psychothriller, alle Optionen liegen auf dem Tisch und werden immer wieder inhaltlich bedient. Das ist unterhaltsam für Freunde von Romanen, die die Innenhandlung bevorzugen und Atmosphäre genießen möchten. Überaus geschickt agiert der Autor bei der Geschichte von Kirstie, die sich als ihre verstorbene Zwillingsschwester Lydia ausgibt. Vor allem baut er jedes Gefahrenmotiv mit viel Geduld von Dunkelgrün bis in den Rotbereich aus, sodass der Leser nie weiß, wie weit es gehen wird.

Mehr Einzelheiten? Aber gern. Wer jedoch den Roman nicht kennt und unschlüssig ist, ob er ihn lesen möchte, sollte die Lektüre des Werks vorziehen. Der Spaß daran liegt am Ratespiel, wohin die Genretour führt.

Die kleinen Pluspunkte

Die kleinen Dinge haben einen großen Einfluss auf das Lesevergnügen. Der Name "The Ice Twins" für die Zwillinge, um die es geht, hebt sie titelwürdig heraus. Die atmosphärische Dichte der Erzählung ist klassisch schön. Die Natur als Spiegelbild der dramatischen Entwicklung spielt eine tragende Rolle.

Der indirekte Trick

Die Begründungen für das Handeln sind indirekt angegeben. Der Vater erfährt vom überlebenden Kind, es hätte den Zwilling in den Tod geschubst, und glaubt an Mord. Die Mutter erfährt vom Kind, der Vater hätte den anderen Zwilling auf unväterliche Weise geliebt, und steigert sich in eine Inzestvermutung hinein. Durch diese indirekten Enthüllungen treibt Sean Thomas den Plot voran und behält sich stets eine Wendung vor.

Der Genremix

Der Psychothriller ist gern multipel, wie viele seiner Akteure. "The Ice Twins" ist vor allem ein Psychothriller, weil es grundsätzlich um die Psyche der Beteiligten geht, alles Handeln und jedes Verhängnis ist davon abhängig. Aber der Roman ist auch eine Geistergeschichte. Allerdings ist dieses Element behutsam eingewoben und bleibt durchgängig an zweiter Stelle.

Ein schauriges Fazit

"The Ice Twins" ist ein Roman für Leser, die Psychothriller mögen und übernatürliche Elemente akzeptieren. Die Mischung und das Wechselspiel, all das ist altmodisch, aber alles andere als altbacken. Eine gekonnte Neuinterpretation, die von eleganten Details bereichert wird. Viele Schriftsteller wären daran gescheitert, aus der Grundidee von "The Ice Twins" einen guten Unterhaltungsroman zu machen. Hier stimmt die Mischung.

Gelesen und rezensiert wurde die English Edition von (Werbelink) "The Ice Twins" als E-Book (Herausgeber: HarperCollins, Januar 2015, ASIN der Kindle-Ausgabe: B00KA0USZC). Der Roman von S. K. Tremayne ist auch als Paperback (384 Seiten), gebundenes Buch (320 Seiten) sowie als Hörbuch (Spieldauer ca. 12 Stunden) in englischer Sprache erhältlich.

(Werbelink) Die deutsche Ausgabe wurde unter dem Titel "Eisige Schwestern" veröffentlicht. Neben der Taschenbuch-Ausgabe (Herausgeber: Knaur TB, Dezember 2016, 416 Seiten, ISBN 978-3426520147) gibt es diesen Psychothriller als E-Book (Kindle ASIN: B00PJC0DHO) sowie als Audible-Hörbuch (Spieldauer ca. 10,5 Stunden), auch auf Audio-CD.

© "Ein altmodisches Vergnügen" lautet die Headline zur Rezension des Psychothrillers von S. K. Tremayne "The Ice Twins", verfasst vom Übersetzer und Lektor Bernd Wicik, 10/2020. Abbildung des Buchcovers: Amazon.de.

Weitere Rezensionen von Bernd Wicik (angloamerikanische Psychothriller)

– Alter Wein in neuen Tubes: Paul Tremblay – A Head Full of Ghosts
– Psychothriller oder nicht? Patricia Highsmith – The Cry of the Owl
– Ein Psychothriller, der mit seinem Genre fremdelt: Nikki Smith – All In Her Head
– Ein Klassiker unter der Lupe: Robert Bloch – Psycho
– Die innere Beliebigkeit der Wahnlogik: Dennis Lehane – Shutter Island
– Ein Serienkillerroman als Familiengeschichte: Gillian Flynn – Cry Baby
– Ein weitgehend blutleerer Blutrausch: Robert W. Walker – Blut
– Literatur für die Konzertpausen: Chris Carter – Kruzifix-Killer
– Ein Roman für das Reisegepäck: Danielle Girard – Cold Silence
– Die Zerrissenheit im Schmetterlingsgarten: Dot Hutchison – Butterfly Garden