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Auf www.amazon.de wird "A Head Full of Ghosts" – 2015 Preisträger des Bram Stoker Award – von den Werbetextern in eine Reihe mit Büchern gestellt, die in den 1970er Jahren zwischen Horror und Psychothriller standen und Verkaufsschlager samt Blockbuster-Verfilmungen waren. US-Autor Paul Tremblay greift in seinem Roman eins der damals beliebten Themen auf, den Exorzismus. Welche Genres er wie bedient, schaut sich Bernd Wicik an.
In einer Rahmenhandlung erzählt Meredith als junge Erwachsene die Geschichte ihrer Familie einer Schriftstellerin, die diese Story als Buch veröffentlichen will. Als sie acht ist, ist ihre Schwester Marjorie von einem Dämon besessen. Aus lauter Geldnot und Verzweiflung lassen die Eltern zuerst zu, dass ein Fernsehteam die Situation filmt und dann, dass ein Priester Marjorie exorziert. Als Marjorie nach dem Exorzismus wieder zu Hause ist, manipuliert sie Meredith, die Familie zu vergiften. Nur Meredith überlebt.
Der Roman ist auf zwei Zeitebenen erzählt, die eine ist im Präsens, die andere im Präteritum. Die achtjährige Meredith trägt ihre Geschichte in altersgerechter Naivität vor. Dieser Stil wird kontrastiert durch intellektuell geschriebene Blogposts von Meredith als junger Erwachsener.
Es gibt Autoren, die merken selbst, dass ihre Story nicht originell ist. Also konzentrieren sie sich auf Nebensächlichkeiten, um zumindest originell zu erzählen. Beliebt ist die Variante, auf mehreren Zeitebenen zu erzählen. Eine andere ist das Erzählen auf der Metaebene. Paul Tremblay nutzt für seinen Roman "A Head Full of Ghosts" alle Varianten, um seinen mageren und abgestandenen Horrorplot zu würzen. Er schwankt zudem zwischen Horror- und Psychothriller, obwohl eine an der Wand hängende Teenagerin nicht als psychotisch durchgeht, sondern als mit übernatürlichen Kräften versehen.
Psychothriller und Horror sind Unterformen der Spannungsliteratur. Montagetechniken sind altbekannt, bereits E. A. Poe hat "The Premature Burial" wie eine Abhandlung begonnen, bevor er zur schaurigen Sache kam. Und der Altmeister in Sachen Noir und Hardboiled namens Jim Thompson hat in "The Getaway" nach der Romanhandlung einen kafkaesken Schluss geliefert. Was der Unterschied zu den Blogposts ist, die Paul Tremblay seine Ich-Erzählerin schreiben lässt? Poe und Thompson leiten ein bzw. aus, aber Paul Tremblay lässt den fiktiven Charakter die Story selbst in einem popkulturellen Kontext analysieren. Und das in der Manier einer altklugen Siebzehnjährigen, die sich für eine intellektuelle Offenbarung hält. Das ist im Kern schlecht. Zudem nimmt es die Spannung, denn auf der Metaebene der Interpretation wirkt Spannungsliteratur nicht. Und schlussendlich offenbart es die Unfähigkeit, die Geschichte sich entfalten zu lassen.
Spannung und Atmosphäre sind zarte Pflänzchen. Dieser Roman behandelt beide gleich nachlässig. Zusammen mit wenigen Handlungselementen, die zwischen all den kindlichen Reflexionen und denen auf der Metaebene verloren wirken, funktioniert "A Head Full of Ghosts" selten als Spannungsroman und zu keiner Zeit als hipper Cross-Media-Genre-Mix in Buchform mit eingesprenkelter nachwuchsintellektueller Zeitgeistprosa. Horror wirkt, wenn er fühlbar ist und die Emotionen stärker als die Gedanken sind, wenn Leser und Zuschauer Dinge fürchten, an die sie nicht glauben. So smart der studierte Mathematiker Paul Tremblay über das Genre philosophiert, dessen Wesen hat er nicht verstanden.
Effektive Spannungsliteratur erfordert eine bescheidene Beschränkung auf die Brot-und-Butter-Disziplinen. Wer wie Paul Tremblay ständig abweicht und wenig zu erzählen hat, der enttäuscht. Er tut so, als würde er das Horror-Genre lieben, es gibt unzählige Referenzen auf Film- und Romanhits. Aber er ist nicht in der Lage, es mit einer sich selbst genügenden Fiktion namens "A Head Full of Ghosts" zu bereichern.
Für begeisterte Leser des Psychothrillers ist dieser Roman ohnehin nicht zu empfehlen. Paul Tremblay ist nicht um die glaubhafte Darstellung einer Psychose bemüht, die Marjories Besessenheit für manche Akteure verkörpert. Außerdem fehlt eine überraschende Wendung, die diesen Namen verdient.
Bernd Wicik hat für Sie die English Edition von "A Head Full of Ghosts" als E-Book gelesen und rezensiert. Herausgeber ist William Morrow (Reprint Edition, Juni 2015), ein Imprint von HarperCollins. Die uns bekannten englischen Ausgaben in Papierform sind: als Paperback von Titan Books (ISBN 978-1785653674, 400 Seiten, September 2016), sowie als Hardcover von William Morrow (ISBN 978-0062363237, 304 Seiten, Juni 2015). Weiterhin wird ein Hörbuch von HarperAudio angeboten (Sprecherin: Joy Osmanski, Spieldauer: 8 Stunden und 49 Minuten).
Der Titel der deutschen Ausgabe lautet "A Head Full of Ghosts – Ein Exorzismus". Deklariert als Psychothriller wurde eine gebundene Ausgabe vom Festa Verlag herausgegeben (ISBN 978-3865526595, 400 Seiten, Juni 2018). Das deutsche Hörbuch kam via Audible Studios im Sommer 2018 auf den Markt (Sprecherin: Verena Wolfien, Spieldauer: 9 Stunden und 18 Minuten).
© "A Head Full of Ghosts": Alter Wein in neuen Tubes. Eine Rezension von Bernd Wicik, 11/2020.
© Abbildung des Buchcovers: HarperCollins.
Lesen Sie weitere Rezensionen von Bernd Wicik: "The Cry of the Owl" von Patricia Highsmith: Psychothriller oder nicht? | "All In Her Head" (Ein Nikki-Smith-Roman)
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